Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- Die neue Stärke staatlicher Emittenten des High-Yield-Segments
- Größere wirtschaftliche Stabilität in Schwellenländern durch strukturelle Reformen
- Robuste Fundamentaldaten bei Unternehmen in Schwellenländern
Im Investmentgeschäft lohnt es sich, weit verbreitete Vorstellungen immer wieder zu hinterfragen.
Mit Schwellenländern (Emerging Markets – EM) verbinden wir allgemein die Vorstellung geringerer Wirtschaftskraft im Vergleich zu Industrieländern. Doch auch wenn dies im Großen und Ganzen zutrifft, sind viele Schwellenländer angesichts wachsender Stärke und beeindruckender Wachstumsperspektiven einen zweiten Blick wert.
Das Team für Schwellenländeranleihen bei Aviva Investors arbeitet mit einem eigenen „Vulnerabilitätsmodell“ zur Messung zentraler Bonitätskennzahlen wie Haushaltsdefizit, Zinskosten und externer Finanzierungsbedarf. Wir haben uns gedacht, wir könnten das Modell doch spaßeshalber einmal auf ein wirtschaftliches Superschwergewicht wie die USA anwenden, um zu sehen, wie die größte Volkswirtschaft im Vergleich zu den Schwellenländern abschneidet, die wir üblicherweise damit analysieren.
Das Ergebnis dieses Experiments hat uns wirklich überrascht. Wären die USA ein Schwellenland, lägen sie im Ranking der vulnerabelsten Volkswirtschaften auf Platz 1 (siehe Abbildung 1). Mit einem Haushaltsdefizit von acht Prozent und einer Staatsverschuldung von mehr als 100 Prozent sind sie schwächer auf der Brust als viele Schwellenländer, trotz der relativ niedrigen Renditen auf US-Staatsanleihen. So macht die Staatsverschuldung in Saudi-Arabien gemessen am BIP gerade einmal 27 Prozent aus, und sogar in Peru, Indonesien und Aserbaidschan liegt sie unter 40 Prozent.
Im EM-Universum geht der Trend nach oben, gerade in einer Zeit, in der entwickelte Volkswirtschaften unter verstärktem Druck stehen
Natürlich bilden bei den USA wichtige Pluspunkte ein starkes Gegengewicht. Angesichts der Größe der US-Volkswirtschaft und der Rolle des US-Dollar als Leitwährung kann man die Vereinigten Staaten nicht mit Schwellenländern vergleichen. Interessant an dem Experiment ist jedoch, dass im EM-Universum der Trend nach oben geht, gerade in einer Zeit, in der entwickelte Volkswirtschaften unter verstärktem Druck stehen.
In diesem Artikel beleuchten wir drei zentrale Gründe für die zunehmende Resilienz von Schwellenländern und sondieren die Möglichkeiten für Anleger, von den Chancen in dem riesigen Universum von Schwellenländeranleihen zu profitieren.
Abbildung 1: The vulnerability index – US versus EM
Source: Aviva Investors. Data as of May 2024.
Das Comeback des High-Yield-Marktes
Ein Indikator für die größere wirtschaftliche Resilienz von Schwellenländern ist die Finanzkraft von Emittenten des High-Yield-Segments, die traditionell aus den schwächeren Volkswirtschaften im EM-Universum kommen.
Dies hat zum Teil zyklische Gründe. Viele dieser Länder haben von den hohen Rohstoffpreisen in den letzten Jahren profitiert. Dies hat zu einer starken Reduzierung des Leistungsbilanzdefizits beigetragen (insbesondere in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara).
Ein Preisrückgang an den Rohstoffmärkten würde einige der schwächeren High-Yield-Emittenten in Schwierigkeiten bringen. Auch wenn diese ihre Reserven aufstocken konnten, sind diese möglicherweise kein ausreichender Puffer für eine längere Phase niedriger Rohstoffpreise. Länder, die bei der Haushaltsdisziplin Fortschritte gemacht haben, sollten im Hinblick auf neue wirtschaftliche Herausforderungen nun jedoch in einer besseren Ausgangsposition sein.
Abbildung 2: Change in primary budget balance, weighted by credit rating category
Source: IMF, Macrobond, Aviva Investors. Data as of August 2024.
Viele dieser Ländern haben ihren Primärsaldo erfolgreich auf das Niveau vor der Pandemie zurückgeführt
So haben viele dieser Länder ihren Primärsaldo wieder erfolgreich auf das Niveau vor der Pandemie zurückgeführt. Das ist angesichts der pandemiebedingten Ausgaben und der allgemein stärkeren Belastungen durch höhere Zinskosten im Zuge des anschließenden Zinsstraffungszyklus eine große Leistung.
So hat Kenia im vergangenen Jahr erstmals seit zehn Jahren wieder einen Primärüberschuss erwirtschaftet. In Südafrika konnte zum ersten Mail seit 15 Jahren wieder ein Primärüberschuss erwirtschaftet werden. Dort hat die Regierung trotz schwieriger Wachstumsperspektiven konsequent an ihrer konservativen Haushaltspolitik festgehalten. In Argentinien, das schon mehrmals einen Staatsbankrott erlebt hat, ist nun eine Regierung am Ruder, die versteht, dass eine Haushaltspolitik auf Pump dazu beigetragen hat, dass die Wirtschaft des Landes von einem Boom-Bust-Zyklus in den nächsten taumelte.
Durch die Aufnahme neuer Kredite konnten Länder wie die Elfenbeinküste und Benin ihre Reserven wieder auffüllen
Vor diesem Hintergrund konnten die High-Yield-Emittenten 2024 wieder Anleihen an den internationalen Finanzmärkten emittieren. Durch die Aufnahme neuer Kredite konnten Länder wie die Elfenbeinküste und Benin ihre Reserven wieder auffüllen, und wir gehen davon aus, dass Nigeria und Senegal mit Emissionen in den nächsten Monaten diesem Beispiel folgen werden.
Auf das richtige Pferd wird nur setzen, wer sich damit beschäftigt hat, welche Länder proaktiv ihre Staatsfinanzen konsolidieren und auch unter schwierigeren gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen an diesem Kurs festhalten. Unsere zukunftsgerichtete Analyse der Schuldenstandsentwicklung bis 2029 lässt darauf schließen, dass die Staatsverschuldung bei wachstumsstarken High-Yield-Emittenten wie Ägypten noch weiter sinken dürfte. Besonders aufmerksam beobachtet werden sollten Länder wie Südafrika, deren Fortschritte beim Schuldenabbau bei enttäuschendem Wirtschaftswachstum oder anhaltend hohen Zinsen wieder zunichte gemacht werden könnten. Auch wachstumsschwache Länder wie Brasilien verdienen besondere Aufmerksamkeit, vor allem bei weiteren innenpolitischen Turbulenzen und anhaltend hohen Renditen auf brasilianische Anleihen.
Abbildung 3: Public sector debt dynamics (per cent of GDP, 2025-2029)
Source: IMF, Macrobond, Aviva Investors. Data as of August 2024.
Strukturelle Resilienz
Die strukturellen Verbesserungen in den Volkswirtschaften der Schwellenländer spielen im Zusammenhang mit der Resilienz dieser Märkte ebenfalls eine wichtige Rolle.
Stärkung des geldpolitischen Rahmens in Schwellenländern
So haben viele Schwellenländern nicht nur in Sachen Haushaltsdisziplin ihre Hausaufgaben gemacht und durch den Einsatz neuer Technologien auch Möglichkeiten gefunden, verstärkt Einnahmen zu generieren, sondern durch die Umstellung der Zentralbanken auf Inflation Targeting und eine stärkere Flexibilisierung der Wechselkurse auch den geldpolitischen Rahmen gestärkt. EM-Notenbanken haben ab Mitte 2022 vielfach früh erkannt, dass die Inflation nicht nur ein vorübergehendes Phänomen ist, wie zunächst angenommen, und noch vor den Zentralbanken in den Industrieländern die Zinszügel gestrafft und den Preisauftrieb gedämpft (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: DM versus EM policy rates
Source: Macrobond, Aviva Investors. Data as of August 2024
Länder wie Ägypten, Nigeria und Sri Lanka liberalisieren gerade ihre Wechselkurssysteme. Damit ziehen sie die Lehren aus der Vergangenheit, als diesen Ländern die Devisenreserven fehlten. Andere Länder wie Ghana und Kenia arbeiten schon seit einiger Zeit mit flexibleren Wechselkursen. Darüber hinaus sorgen strengere aufsichtsrechtliche Vorschriften und Kontrollen auf nationaler und internationaler Ebene seit der globalen Finanzkrise allgemein für stabilere gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Mit Blick in die Zukunft könnten längerfristige strukturelle Trends wie die wahrscheinlich anhaltende Nachfrage nach wichtigen Rohstoffen für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft Schwellenländer wirtschaftlich weiter stärken. Viele für diese Transformation dringend benötigten Rohstoffe werden aus Schwellenländern wie Chile bezogen, einem der Hauptexportländer von Kupfer, das für Stromnetze große Bedeutung hat.
Starke Fundamentaldaten bei den Unternehmen
Es ist kein Geheimnis, dass EM-Unternehmensriesen wie das indische Telekommunikationsunternehmen Reliance Jio und der südafrikanische Internetanbieter Naspers international an Marktmacht gewinnen.
Ein Indikator für die Resilienz von Unternehmen in Schwellenländern sind sinkende Ausfallquoten
Aber EM-Unternehmen sind auch auf breiter Front resilienter geworden. Ein Indikator dafür sind sinkende Ausfallquoten: JPMorgan hat vor Kurzem seine Insolvenzerwartungen für High-Yield-Emittenten im Corporate Emerging Market Bond Broad Diversified Core Index von bisher 2,9 Prozent auf 2,1 Prozent nach unten korrigiert. Damit liegt diese Prognose erstmals seit vier Jahren unter dem historischen Durchschnitt.
Umsichtiges Liquiditätsmanagement und pragmatisches unternehmerisches Handeln in einer schwierigen Phase nach der Corona-Pandemie schlagen sich bei vielen EM-Unternehmen nun in starken Bonitätskennzahlen nieder.
EM-Unternehmen weiterhin mit starken Bilanzen und soliden Bonitätskennzahlen
Das rauere Makroklima hat zwar zu einem Anstieg der Kapitalkosten beigetragen und wahrscheinlich eine Rolle bei dem Rückgang der Fusionen und Übernahmen, der Investitionszurückhaltung und den begrenzten Renditen für Aktionäre gespielt. Aufgrund der oben genannten Faktoren konnten EM-Unternehmen jedoch auch weiterhin mit starken Bilanzen und soliden Bonitätskennzahlen aufwarten.
Trotz des Inflationsdrucks im Geschäftsjahr 2023 verzeichneten die im JPMorgan Index vertretenen Unternehmen lediglich einen Rückgang von einem Prozent beim Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen auf Sachanlagen und immaterielle Vermögensgegenstände (EBITDA). Gleichzeitig haben sich Brutto- und Nettoverschuldung in diesem Zeitraum mit einem Faktor 0,2 bzw. 0,1 nur moderat erhöht. Diese Zahlen belegen die strenge Kapitaldisziplin bei EM-Unternehmen.
Chancen sehen
Doch trotz dieses positiven Trends bei den staatlichen Emittenten und Unternehmen des EM-Universums sind die Bewertungen noch immer attraktiv. Die Renditen auf Schwellenländeranleihen sind nach einer signifikanten Bewertungsanpassung in den Jahre 2021 und 2022 gestiegen. Hier besteht möglicherweise noch größeres Renditepotenzial und mit Hinblick auf künftige Marktvolatilität ein gewisser Puffer.
Abbildung 5: Emerging market bond yields
Source: JP Morgan, Aviva Investors. Data as of February 2024.
Manche Anleger haben sich in der von Unsicherheit und Marktvolatilität geprägten letzten Zeit in Liquidität und Anlagen mit kurzer Duration als „sichere Häfen“ geflüchtet. Das Risiko, zu niedrigeren Zinsen reinvestieren zu müssen, ist damit indes nicht vom Tisch, da die Zinsen weiter sinken dürften. In diesem Marktumfeld und mit Blick auf den Aufwärtstrend bei den Fundamentaldaten könnten die im Vergleich höheren Renditen auf Schwellenländeranleihen für Anleger immer attraktiver werden.
Anleger müssen mit einem aktiven Ansatz agieren, flexibel bleiben und systematisch vorgehen
Doch auch wenn man dem Schwellenländeruniversum in seiner Gesamtheit wachsende Resilienz attestieren muss, handelt es sich dabei doch um eine sehr heterogene Gruppe, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Risiken in dieser Anlageklasse dynamischer entwickeln als bei den Industrieländern. Um sich die attraktivsten Anlagen zu sichern, müssen Anleger mit einem aktiven Ansatz agieren, flexibel bleiben und systematisch vorgehen.
Solche Anlagechancen sind über das gesamte investierbare Universum verteilt und nicht auf die höher verzinslichen Marktsegmente beschränkt, auf die der Blick renditehungriger Anleger oft verengt ist. Zur Maximierung des Anlageerfolgs empfiehlt es sich aus unserer Sicht, das gesamte Investment-Grade- und High-Yield-Spektrum zu sondieren.
Ganz wichtig ist es dabei auch, die Risiken genau zu kennen
Ganz wichtig ist es dabei auch, die Risiken genau zu kennen, da bei Schwellenländern ein hohes Maß an idiosynkratischen Risiken besteht, die sich mit klassischen Risikokennzahlen oft nicht erfassen lassen. Länderexpertise und umfassende Due Diligence, auch mit Besuchen vor Ort, um politische Entscheidungsträger oder andere Stakeholder zu treffen, sind von zentraler Bedeutung, um ein tieferes Verständnis für jeden einzelnen Markt und dessen Platz im Gefüge des EM-Universums zu entwickeln.
Nicht zuletzt ist auch eine ausgewogene Portfoliozusammensetzung eine wichtige Voraussetzung für konstante Renditen. Unser Prozess zielt auf diversifizierte Renditequellen ab, wobei Risiko und Ertrag stets im Mittelpunkt stehen. Wir wollen und können jede Form von Bias bewusst vermeiden und ein breites Spektrum von Anlagechancen in den Blick nehmen, das wir mit unserer Fundamentalanalyse auch in seiner ganzen Tiefe durchdringen (siehe „Mit einem Ansatz ohne strukturelle Verzerrungen erfolgreich in Schwellenländeranleihen investieren“).1 Dieser Ansatz verspricht überzeugende risikobereinigte Renditen mit weniger Auf und Ab und kann für Anleger attraktiv sein, die sich strategisch in einer Anlageklasse positionieren wollen, die – wie oben ausgeführt – zunehmend bessere Perspektiven bei der längerfristigen Resilienz bietet.