Mit einer alternden Bevölkerung, wachsender Verschuldung und Anfälligkeiten des Immobilienmarktes läuft China Gefahr, wie Japan nach einer Phase exorbitanten Wirtschaftswachstums eine Finanzkrise zu erleben und in Stagnation zu verfallen. Gelingt es der Regierung unter Xi, die Wirtschaft auf ein neues Wachstumsmodell umzustellen?
Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- Die strukturellen Probleme der chinesischen Wirtschaft
- Wie die Krise auf dem chinesischen Immobilienmarkt das Wachstum belasten könnte
- Die potenziellen Parallelen zu den „verlorenen Jahrzehnten“ in Japan
Der Parteikongress der kommunistischen Partei Chinas im Oktober war ein großes Spektakel. Doch der Glanz auf der politischen Bühne stand im Kontrast zu einer sich eintrübenden wirtschaftlichen Lage.
Das chinesische BIP-Wachstum für das laufende Jahr betrug im dritten Quartal nach offiziellen Daten drei Prozent und blieb damit hinter der von der Regierung für das Gesamtjahr anvisierten Marke von 5,5 Prozent zurück.
Der naheliegende Grund für die Wachstumsverlangsamung ist die konsequente Null-Covid-Strategie von Präsident Xi Jinping mit strengen Lockdowns zur Eindämmung von Virusausbrüchen , die allgemein für Unmut sorgt. Ende November löste ein tödlicher Brand in einem Wohnblock in der Provinz Xinjiang in verschiedenen Städten Proteste aus, nachdem bekannt geworden war, dass die strengen Lockdown-Maßnahmen den Kampf gegen das Feuer erschwert und so die Opferzahl in die Höhe getrieben haben.
Doch China sieht sich auch mit tiefgreifenderen strukturellen Problemen konfrontiert. Die demografische Alterung vollzieht sich im Zeitraffertempo, und die Regierung in Peking ringt um einen wirtschaftlichen Übergang weg von schuldenfinanzierten Investitionen hin zu konsumgetriebenem Wachstum. Eine Krise am chinesischen Immobilienmarkt könnte jedoch auf andere Wirtschaftsbereiche ausstrahlen.
Diese Faktoren haben einige Experten dazu veranlasst, Vergleiche zwischen China und dem benachbarten Japan anzustellen. 1991 fanden die Boomjahre in Japan mit dem Platzen einer Aktien- und Immobilienblase ein jähes Ende und es begann die Phase der „verlorenen Jahrzehnte“ Wie in China konterkariert die demografische Alterung die Bemühungen der Regierung, die Wirtschaft anzukurbeln.
„Wenngleich die Situation in beiden Ländern nicht ganz deckungsgleich ist, sind die Sorgen hinsichtlich einer ‚Japanifizierung‘ Chinas nicht aus der Luft gegriffen“, erklärt David Nowakowski, Senior Strategist, Multi-Asset & Macro bei Aviva Investors. „Die demografischen Trends sind sehr ähnlich, und wie in Japan in den 1990er-Jahren gibt es jetzt auch in China eine Immobilienkrise. Es ist durchaus möglich, dass die Phase hoher einstelliger Wachstumsraten in China ihrem Ende entgegengeht.“
Steigende Verschuldung
Auch wenn der wirtschaftliche Wohlstand in China noch unter dem Niveau in Japan zum Zeitpunkt des Crashs liegt – das Pro-Kopf-BIP von rund 12.000 USD beträgt nicht einmal die Hälfte der 29.000 USD 1991 in Japan –, sind die Parallelen zum schuldengetriebenen Boom im Japan der 1980er-Jahre doch unübersehbar (siehe Abbildungen 1-3).
Abbildung 1: Private Verschuldung in Japan und China (in % des BIP)
Quelle: BIZ, November 2022
Abbildung 2: Verschuldung privater Haushalte in % des BIP
Quelle: BIZ, November 2022
Abbildung 3: Verschuldung von Unternehmen der Privatwirtschaft in % des BIP
Quelle: BIZ, November 2022
Nach marktwirtschaftlichen Reformen 1978 wurden in China in den folgenden Jahrzehnten schnell groß angelegte Investitionsprogramme in physische Infrastruktur aufgelegt. Die steigende Staatsverschuldung war kein Problem, solange die Wirtschaft schnell genug wuchs, doch dies ist jetzt nicht mehr der Fall.
Michael Pettis, Professor für Finance an der Guanghua School of Management der Universität Peking, schätzt, dass die Produktivität chinesischer Investitionen irgendwann zwischen 2006 und 2008 zu sinken begann. Seither ist die Verschuldung stark angestiegen, hat sich das Wachstum abgeschwächt und sind die Exporte im Verhältnis zu den Investitionen zurückgegangen.1
Immobilienkrise
Daten des Peterson Institute for International Economics zufolge entfallen mittlerweile ca. 25-30 Prozent des chinesischen BIP auf die Immobilienbranche oder verwandte Branchen.2 Doch viele Immobilienentwickler ächzen unter einer hohen Schuldenlast. China Evergrande, der größte Immobilienkonzern des Landes, konnte im Dezember 2021 erstmals seine Dollarschulden bei Offshore-Gläubigern nicht mehr bedienen.
Rund 25-30 Prozent des chinesischen BIP entfallen heute auf den Immobiliensektor oder verwandte Branchen.
Alarmiert durch die hohe Verschuldung in der Branche hat die Regierung im August 2020 „drei rote Linien“ zur Beschränkung der Kreditaufnahme angekündigt. Seither sind die Immobilienpreise rückläufig. Damit haben nicht nur Immobilienentwickler, sondern auch Lokalregierungen Probleme bekommen, sind deren Einnahmen aus Grundstücksverkäufen dadurch doch zurückgegangen, sodass sie weniger Mittel für den Schuldendienst zur Verfügung haben.
Wenngleich die Immobilienblase gewisse Ähnlichkeiten mit der damaligen Blase in Japan hat, dürfte sich die Krise des Jahres 1991 in Japan so nicht wiederholen, sagt Amy Kam, Portfoliomanagerin für Schwellenländeranleihen bei Aviva Investors. Die chinesische Zentralregierung hat mehr Kontrolle über die Wirtschaft als die japanische Regierung seinerzeit und wird versuchen, einen schrittweisen und kontrollierten Entschuldungsprozess einzuleiten, der über einen längeren Zeitraum wachstumsdämpfend wirken könnte.
Binnennachfrage und Demografie
Die große Frage ist nun, welcher Wachstumstreiber längerfristig die schuldenfinanzierten Investitionen ablösen soll und ob ein solcher überhaupt in Sicht ist.
Peking hat eingeräumt, dass die Wirtschaft auf ein nachhaltigeres Wachstumsmodell umgestellt werden muss, dessen tragende Säule nicht mehr die Schuldenfinanzierung, sondern die Binnennachfrage ist. Doch der Anteil des privaten Konsums am BIP liegt bei gerade einmal 39 Prozent – in den USA sind es 68 Prozent.3 Vermögen und Einkommen von Lokalregierungen und Staatsbetrieben zu privaten Verbrauchern umzulenken, wird politisch schwer umsetzbar sein.4
Die rasch voranschreitende Alterung der chinesischen Bevölkerung könnte der Regierung die Umstellung der Wirtschaft zusätzlich erschweren
Ein weiteres Problem besteht darin, dass Vermögen in China häufig in Form von Immobilien gehalten wird. Bei sinkenden Immobilienpreisen könnten Verbraucher eher den Reflex haben, den Gürtel enger zu schnallen, als auf Einkaufstour zu gehen. Und die rasch voranschreitende Alterung der chinesischen Bevölkerung könnte der Regierung die Umstellung der Wirtschaft zusätzlich erschweren.
Steigende Gesundheits- und Sozialkosten belasten den Staat und die privaten Haushalte und könnten zusätzlich zu der unpopulären Null-Covid-Politik die Wirtschaft weiter ausbremsen.
Einer neuen Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge sinkt mit einer alternden Bevölkerung tendenziell der natürliche Zins.5 Bei einem niedrigen Zinsniveau hat die Zentralbank weniger Möglichkeiten zur Stimulierung der Konjunktur in Krisenphasen, wie am Beispiel Japans deutlich wird. Eine Deflation ist ein weiterer Risikofaktor.
Doch eine alternde Bevölkerung hat auch ihre positiven Seiten. Die chinesische Bevölkerung wird nicht zuletzt deswegen älter, weil sich der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung der Menschen verbessert haben.6 Und es ist durchaus denkbar, dass mit einer Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung die Löhne steigen, weil die Erwerbstätigen damit an Verhandlungsmacht gewinnen. Dies hat potenziell einen konsumstimulierenden Effekt.
Auswirkungen auf Anlagen
Doch obgleich China eine Japanifizierung langfristig durchaus noch abwenden kann, korrigieren viele Experten ihre Wachstumsprognosen für China nach unten. Unter den von Bloomberg befragten Volkswirten herrscht Konsens, dass das Wirtschaftswachstum bis einschließlich 2024 in jedem Jahr unter der Marke von fünf Prozent bleiben wird.7
Angesichts der Größe der chinesischen Volkswirtschaft hat eine Wachstumsverlangsamung im Reiche der Mitte klare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Nowakowski argumentiert, dass der Effekt für Chinas Haupthandelspartner unter den Schwellenländern und für einige Industrieländer wie Deutschland am stärksten spürbar sein wird.
Eine Wachstumsverlangsamung in China hat klare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft
Die Anfälligkeit des chinesischen Immobiliensektors birgt offensichtliche Risiken für Anleger an ihren Heimatmärkten. Aktienanleger sehen potenzielle Ansteckungsgefahren, die Finanzlage der Unternehmen und die anhaltenden Auswirkungen der Null-Covid-Politik mit Sorge.
Längerfristig könnten aus der unumgänglichen Förderung der Binnennachfrage jedoch auch Chancen erwachsen, so Alistair Way, Head of Equities bei Aviva Investors.
China wird aller Voraussicht nach Anreize für eine Umorientierung von Immobilien auf Finanzinstrumente als Form der Vermögensbildung setzen, was chinesischen Finanzdienstleistungsunternehmen zugutekommen dürfte. Von einer steigenden Binnennachfrage würden zudem chinesische Unternehmen in anderen Wirtschaftszweigen profitieren, beispielsweise in den Bereichen Unterhaltungselektronik und Elektrofahrzeuge.