Resiliente Dividendenentwicklung im ersten Halbjahr 2023. Richard Saldanha beleuchtet die Perspektiven für Income-Anleger für den Rest des Jahres.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- Sektorübergreifender Ausblick für Dividendenwerte
- Wie Anleger in Dividendenwerte auf den Boom rund um künstliche Intelligenz reagieren können
- Warum die Resilienz von Gesundheitswerten und Basiskonsumgütern nicht übersehen werden sollte
Über weite Strecken dieses Jahres haben Aktienanleger die Auswirkungen steigender Zinsen und der anhaltend hohen Inflation auf Unternehmen und Sektoren beschäftigt. Geopolitische Sorgen und eine schwächer als erhoffte Erholung in China nach der Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen haben die Unsicherheit verstärkt, wenngleich die Industrieländer sich als resilient erwiesen haben.
Aus einer Income-Perspektive startete das Jahr mit einem starken Dividendenwachstum. Im ersten Quartal wurden höhere Sonderdividenden gezahlt und auch Aktienrückkäufe hatten Konjunktur, da viele Unternehmen sich liquiditätsstark präsentierten.
In den USA erreichten die Dividendenzahlungen der Unternehmen des S&P 500 im ersten Quartal einen Rekordwert von 146,8 Mrd. USD, während der Gesamtbetrag der Ausschüttungen in den zwölf Monaten bis zum 30. März 573,7 Mrd. USD betrug. Mit einem Anstieg um 9,3 Prozent gegenüber der Vergleichsperiode im Zeitraum 2021/2022 wurde auch hier ein Rekordergebnis erzielt.1 Trotz der ungewissen Perspektiven mit Blick auf die Jahre 2024 und 2025 lässt sich die Resilienz der Dividenden in den USA in diesem Jahr auch an anderen Märkten beobachten. So wird die britische Benchmark, der FTSE-100-Index, im Jahr 2023 nach Schätzungen von AJ Bell voraussichtlich Dividenden von insgesamt 83,8 Mrd. GBP generieren – das ist ein Plus von 10 Prozent gegenüber dem letztjährigen Wert von 76,1 Mrd. GBP.2
Die höchsten Ausschüttungen werden in Sektoren erwartet, die traditionell mit Dividendenzahlungen in Verbindung gebracht werden, unter anderem Energie, Versorger, Bergbau, Finanzen und Tabak. Das Anlegerinteresse galt aber auch dem Technologiesektor, insbesondere Unternehmen, die im Bereich künstlicher Intelligenz (KI) tätig sind. Hier versuchten die Anleger, potenzielle Gewinner zu identifizieren – von Chipherstellern bis hin zu Cloud-Computing-Anbietern.
Was könnte nun für Anleger in Dividendenwerte für den Rest des Jahres zu erwarten sein? Um das herauszufinden, haben wir mit Richard Saldanha gesprochen, dem Portfoliomanager der Aviva Investors Global Equity Income-Strategie.
Wie sieht die Entwicklung von Gewinnen und Dividenden in diesem Jahr aus?
Die Gewinne sind im Zuge der weiteren Konjunkturabkühlung unter Druck geraten. Die Märkte hatten ursprünglich einmal mit zweistelligem Gewinnwachstum weltweit gerechnet, aber die Erwartungen sind deutlich zurückgegangen, da die Märkte den Effekt höherer Zinsen und einer Wachstumsverlangsamung eingepreist haben.
Die USA befinden sich in einer technischen Gewinnrezession, während sich Europa etwas besser behaupten konnte
Die Situation in den USA ist jedoch eine andere als in Europa. Nach zwei Quartalen mit negativem Gewinnwachstum im Vorjahresvergleich befinden sich die USA in einer technischen Gewinnrezession, während sich Europa etwas besser behaupten konnte. Die Gewinne sind trotz des Krieges in der Ukraine und der Auswirkungen dieses Konflikts auf die Energie- und Rohstoffpreise gestiegen, wenngleich die Verbraucher in Europa durch die steigende Kostenbelastung unter erheblichen Druck geraten sind. Die entscheidende Frage ist, ob Unternehmen ihre Gewinnprognosen senken werden.
Bei den Dividenden sieht es besser aus: Trotz des schwierigen Umfelds besteht aus unserer Sicht hier nach wie vor Wachstumspotenzial. Dies unterstreicht, worauf wir schon einmal hingewiesen haben: Dividenden sind in volatilen Phasen oder bei einem Abschwung in der Regel resilienter als Gewinne. Während das Dividendenwachstum unter Druck geraten ist, hauptsächlich infolge rückläufiger Gewinne und Cashflows, haben Ausschüttungen an Aktionäre bei Unternehmen nach wie vor einen hohen Stellenwert (siehe Global equity income Q&A: Richard Saldanha on dividends and downturns).3
Im ersten Quartal entfiel ein großer Anteil der Dividenden auf einmalige Zahlungen. Wird sich das Ihrer Erwartung nach fortsetzen?
Viele dieser einmaligen Sonderdividenden im ersten Quartal waren das Ergebnis unvorhergesehener Gewinne (Windfall Profits) bei Öl- und Automobilunternehmen wie Ford und Volkswagen. In vielen Fällen ließen die Unternehmen die zusätzliche Liquidität an die Anleger zurückfließen, nicht nur in Form von Sonderdividenden, sondern auch durch Aktienrückkäufe. Da Windfall Profits vor dem Hintergrund der gesunkenen Energiepreise der Vergangenheit angehören, wird sich dieser Trend wohl kaum fortsetzen.
Die Aktienrückkäufe kletterten 2022 auf ein Rekordniveau, und es gibt Anzeichen dafür, dass es 2023 noch weiter nach oben gehen könnte. Wie wirkt sich das auf Ihren Ausblick aus?
Im Jahr 2020 zwang die Pandemie viele Unternehmen dazu, wegen Liquiditätsengpässen Dividenden zu kürzen und Rückkaufpläne zurückzufahren. Mit der Rückkehr zur Normalität in den Volkswirtschaften bot sich hier rasch wieder ein anderes Bild. So konnten wir eine massive Zunahme der Dividendenausschüttungen und der Rückkäufe beobachten, die bis in das vergangene Jahr anhielt.
Bei dem aktuell höheren Zinsniveau wird es schwieriger – und teurer – Schulden zu bedienen
Viele Rückkäufe wurden von großen, liquiditätsstarken Unternehmen wie Apple und großen Energieversorgern mit außerordentlich hohen Gewinnen getätigt. Andere hingegen wurden durch Kredite finanziert. In Zeiten niedriger Zinsen war es für Unternehmen ein Leichtes, sich stärker zu verschulden und so Aktienrückkäufe zu finanzieren. Bei dem aktuell höheren Zinsniveau wird es jedoch schwieriger – und teurer – diese Schulden zu bedienen.
Angesichts des derzeitigen Zinsniveaus werden Rückkäufe wahrscheinlich weiter eingeschränkt werden. Bei einem Konjunkturabschwung oder einer Rezession steht bei Unternehmen selbstverständlich die Liquiditätssicherung im Vordergrund. In einem solchen Szenario wird der Rotstift wahrscheinlich zuerst bei Rückkäufen angesetzt, da Unternehmen selbst in einem Umfeld, in dem die Gewinne unter Druck stehen, tendenziell Dividendenzahlungen priorisieren.
Abbildung 1: Dividenden und Rückkäufe im Vergleich (in Mrd. USD)
Hinweis: Dividenden und Rückkäufe von Unternehmen des S&P 500, Quartalsdaten.
Quelle: S&P Global, Aviva Investors. Stand: 31. März 2023.
Der Boom im Bereich der generativen KI ist gerade in aller Munde. Welche Dividenden ausschüttenden Unternehmen könnten, wenn überhaupt, zu den Gewinnern zählen und wird KI einen Einfluss auf Umsätze oder Aktienkurse haben?
Es gibt einen ganz klaren Gewinner: die Halbleiterindustrie. Halbleiter sind das "Fundament“, auf dem das Wachstum von Unternehmen wie Microsoft, Amazon, Alphabet und Meta gründet. ChatGPT und andere Plattformen für generative KI benötigen allesamt ein enormes Volumen an Rechenleistung. Ermöglicht wird diese durch Chips, die von Unternehmen aus der Halbleiterindustrie hergestellt werden.
Ein Beispiel hierfür ist Nvidia, dessen Aktie eine Kursexplosion erlebt hat. Zwar zahlt Nvidia keine Dividenden, doch die Liste anderer Unternehmen in der Halbleiterindustrie, die die Früchte von KI ernten könnten, ist lang. Einige dieser Unternehmen könnten für ertragsorientierte Anleger interessant sein,
Die Liste anderer Unternehmen in der Halbleiterindustrie, die die Früchte von KI ernten könnten, ist lang
beispielsweise Broadcom in den USA, das Halbleiter und Infrastruktursoftware entwickelt und vertreibt. Das Unternehmen fertigt „individuelle Siliziumkomponenten“ – Prozessoren, die besondere Kundenanforderungen erfüllen – und damit Bestandteile von leistungsstarken, in KI-Rechnern eingesetzten Chips. Zu den größten Kunden von Broadcom zählen Alphabet und Meta, die an der Spitze der KI-Innovation stehen. Durch den rasanten Anstieg der Nachfrage nach diesen Chips dürften sich die KI-bezogenen Umsätze des Unternehmens im nächsten Jahr verdoppeln. Dies spiegelt sich in dem Kurssprung bei der Broadcom-Aktie. Außerdem zahlt das Unternehmen eine solide Dividende, die in den letzten fünf Jahren um rund 20 Prozent gestiegen ist.
Ein weiterer interessanter Bereich ist die Datenspeicherung. Wir stellen eine steigende Nachfrage nach Datenspeicherung fest. Parallel dazu steigen auch die Nachfrage nach Strom sowie der Investitionsbedarf in Bezug auf das Stromnetz. Bei den Industriewerten dürften auch Unternehmen wie Schneider und Siemens vom KI-Boom profitieren, denn diese können beim Aufbau der Infrastruktur für große Rechenzentren und Stromnetze oder bei der Stromerzeugung zur Deckung des erhöhten Strombedarfs unterstützen.
Gibt es Themen, die gewissermaßen ein Schattendasein fristen?
Unternehmen, die sich traditionell als defensiv und resilient erwiesen haben, wie Unternehmen im Gesundheitswesen oder aus dem Basiskonsumgütersektor, werden derzeit übersehen, da Anleger sich vor allem auf Technologiewerte stürzen. Diese Unternehmen lieferten im letzten Jahr in einem volatilen Umfeld solide Gewinne und Dividenden, was zu keinem geringen Teil auf deren Preissetzungsmacht und die Fähigkeit, den Faktor Inflation zu neutralisieren, zurückzuführen ist. Da die Frage, ob wir auf dem Weg in eine Rezession sind, noch im Raum steht, sollte man diesen Werten mehr Beachtung schenken.
Jetzt ist es an der Zeit, nach Unternehmen Ausschau zu halten, die gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, sich in volatilen Märkten zu behaupten
Angesichts der vielen Risiken ist es jetzt an der Zeit, nach Unternehmen Ausschau zu halten, die gezeigt haben, dass sie in der Lage sind, sich in volatilen Märkten zu behaupten, stabile Cashflows zu generieren und konstant Dividenden zu zahlen. Langfristig dürfte das einen erheblichen Wert darstellen.
Wie sehr bereiten Ihnen die Inflation und das Risiko einer Rezession Sorgen?
Die Situation ist nicht ganz einfach. Wenngleich es erfreuliche Anzeichen für einen Rückgang der Inflation gegenüber dem hohen Niveau des letzten Jahres gibt, erweisen sich inflationäre Tendenzen im Bereich der Kerninflation (bei der die volatileren Lebensmittel- und Energiepreise außen vor bleiben) als hartnäckig, was grundsätzlich Anlass zur Sorge gibt. Unternehmen und Verbraucher sind weiterhin mit höheren Kosten konfrontiert, vor allem im Vereinigten Königreich.
Die Märkte sind hingegen nach wie vor positiv gestimmt. So sind die Volatilitätsindizes wie der VIX bemerkenswert niedrig. Während dies darauf schließen lässt, dass eine weiche Landung eingepreist ist, empfiehlt sich hier eine differenzierte Betrachtung. Erstens wird der Kursanstieg an den Aktienmärkten in diesem Jahr von einer kleinen Gruppe von Technologieunternehmen getragen. Die meisten Sektoren sind im Minus. Zweitens geht nach wie vor Druck von zusätzlichen Belastungsfaktoren aus. Die Zentralbanken konnten die Inflation noch nicht unter Kontrolle bringen, und die geopolitischen Spannungen, vom Krieg in der Ukraine bis hin zu den Beziehungen zwischen den USA und China, halten weiter an. Nicht vergessen sollten wir außerdem die kleine Bankenkrise zu Jahresbeginn, die vor dem Hintergrund der nun restriktiveren Kreditvergabe durch US-Banken noch länger nachwirken könnte. In den nächsten Quartalen rechnen wir mit einem globalen Konjunkturrückgang., Deshalb sind wir vorsichtiger als viele andere Anleger.
Banken zahlen traditionell gute Dividenden, doch der Sektor wurde durch den jüngsten Zusammenbruch regionaler US-Banken und die staatlich verordnete Übernahme der Credit Suisse durch die UBS erschüttert. Wie hat dies Ihren Ausblick für den Sektor beeinflusst?
Banken sind eine tragende Säule im Portfolio vieler Income-Fonds. Anders als viele unserer Wettbewerber waren wir jedoch nie besonders stark im Bankensektor engagiert. Derzeit haben wir keine Banken in unserem Portfolio und durch die Krise hat sich unsere Einschätzung zu dem Sektor nicht verändert.
Anders als viele unserer Wettbewerber waren wir nie besonders stark im Bankensektor engagiert
Das Geschäftsmodell von Banken basiert mit seiner Abhängigkeit vom Zinsüberschuss eindeutig auf den Zinssätzen, die – wie wir in den letzten Jahren gesehen haben – schwierig vorherzusagen sind. Prognosen zur Gewinnentwicklung bei Banken sind daher ein schwieriges Geschäft. In einer Rezession, wie beispielsweise während der Pandemie, nehmen Banken erhebliche Dividendenkürzungen vor. Dies wirft jedoch die Frage nach der Nachhaltigkeit ihrer Ertragsströme auf.
Doch auch wenn es aus unserer Sicht Gründe für eine vorsichtige Haltung gegenüber Banken gibt, sehen wir andere Unternehmen im Finanzsektor mit resilienten Geschäftsmodellen. Börsen, Zahlungsverkehrsanbieter und Versicherungsmakler beispielsweise haben langfristig gesehen tendenziell nachhaltigere Gewinne und Erträge zu bieten.
Wie hat die Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft den Ausblick beeinflusst?
Die rasche Lockerung der Corona-Beschränkungen in China nährte die Hoffnung, dass die Freisetzung der aufgestauten Inlandsnachfrage zu einer Belebung des BIP-Wachstums führen würde und damit ein Gegengewicht zu der konjunkturellen Abkühlung in den westlichen Volkswirtschaften bilden könnte. In gewissem Umfang war ein solcher Effekt bei Luxusgütern und in der Reisebranche spürbar: Unternehmen wie der französische Luxusgüterhersteller LVMH oder der schweizerische Anbieter Richemont haben eine starke Erholung der Nachfrage aus China nach ihren Produkten festgestellt.
Doch dies ist nicht überall so. Konjunkturdaten wie Einkaufsmanagerindizes zeichnen ein gemischtes Bild, die Jugendarbeitslosigkeit ist weiter hoch und die Probleme im Immobiliensektor sind nach wie vor ungelöst. Unsere Gespräche mit großen Industrieunternehmen mit einer signifikanten Präsenz in China legen nahe, dass es länger dauern wird, bis die erwartete Erholung des privaten Konsums zum Tragen kommt, als ursprünglich gedacht.
Was sind die Vorteile eines Benchmark-unabhängigen Ansatzes für eine globale Income-Strategie in diesem Umfeld?
Man kann so von Chancen abseits der ausgetretenen Pfade am Kapitalmarkt profitieren. Bei der Zusammenstellung eines Portfolios denken wir nicht an Benchmarks. Wir konzentrieren uns darauf, resiliente Erträge und Wertzuwachs für Kunden zu erzielen.
Wir konzentrieren uns weiterhin auf die Segmente des Marktes, in denen wir Resilienz und klare Anhaltspunkte für die künftigen Ertragsströme sehen
Nehmen wir als Beispiel KI-Werte und die Beliebtheit von Nvidia. Das Unternehmen macht rund 1,7 Prozent des MSCI All Country World Index aus, zahlt aber keine Dividenden und ist damit unter Ertragsgesichtspunkten uninteressant. Während ein paar große Technologiewerte in diesem Jahr für einen Großteil der Benchmarkrenditen verantwortlich sind, können auch andere Unternehmen mit einer langfristigen Wachstumsstory aufwarten, beispielsweise die bereits genannten Unternehmen des Halbleitersektors. Wir konzentrieren uns weiterhin auf die Segmente des Marktes, in denen wir Resilienz und klare Anhaltspunkte für die künftigen Ertragsströme sehen.4