Hohe Inflation und steigende Zinsen hatten im vergangenen Jahr einen dämpfenden Effekt an den Immobilienmärkten. Doch mittlerweile ist die Stimmungen an den Anlagemärkten im Vereinigten Königreich und in Europa wieder von vorsichtigem Optimismus geprägt, so Imogen Ebbs und George Fraser-Harding.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- Warum vieles dafür spricht, dass die britischen und europäischen Immobilienmärkte an der Schwelle zu einer neuen Phase stehen
- Wie sich Zinssenkungen auf den Wohnimmobilienmarkt auswirken könnten
- Welchen Einfluss die neue Fondsstruktur des Long-Term Asset Fund auf Immobilienanlagen im Vereinigten Königreich haben könnte
Mit hoher Inflation und steigenden Zinsen waren Anleger bei einer ganzen Reihe von Anlagen in den letzten zwölf Monaten mit völlig neuen Rahmenbedingungen konfrontiert, so auch bei Immobilien. Infolge des schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds und der höheren Finanzierungskosten sind die Bewertungen am Immobilienmarkt unter Druck geraten. Damit hat eine Rekalibrierung eingesetzt.
Dies hatte jedoch ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Marktteilnehmer. Während sich einige Immobilienfonds gezwungen sahen, Objekte zu verkaufen, um eine finanzielle Schieflage abzuwenden, konnten sich Investoren mit uneingeschränktem Zugang zu den Kapitalmärkten qualitativ hochwertige Objekte zu günstigen Preisen sichern.
Nachdem sich die Unsicherheit beim Makroausblick nun wieder reduziert hat und sich die Entwicklung an den Public-Debt- und Equity-Real-Estate-Märkten allmählich stabilisiert, zeichnet sich aus unserer Sicht eine neue Zyklusphase ab. An diesem Wendepunkt kommt es stark darauf an, die Auswirkungen sowohl zyklischer Veränderungen als auch langfristiger struktureller Megatrends auf Branchen und einzelne Anlagen zu analysieren. Auch den optimalen Zeitpunkt für ein Investment zu wählen, ist wichtig.
In dieser Fragerunde diskutieren George Fraser-Harding (GFH), Head of Pan-European Funds, Real Estate, und Imogen Ebbs (IE), Head of UK Funds, Real Estate Equity, darüber, an welchem Punkt im Zyklus sich der Markt gerade befindet, wie Zinssenkungserwartungen das Anlageverhalten beeinflussen und wie sich das Nachhaltigkeitsprofil von Objekten in ihrer Bewertung niederschlägt.
Wie haben sich die britischen und europäischen Immobilienmärkte im vergangenen Jahr entwickelt und wie beurteilen Sie die Aussichten für den Rest dieses Jahres?
GFH: Der Abwärtstrend an den Märkten hat sich in den einzelnen Regionen unterschiedlich ausgewirkt (siehe Abbildung 1). Am stärksten war die Bewertungsanpassung im internationalen Vergleich im Vereinigten Königreich, gefolgt von den kontinentaleuropäischen Märkten.
Abbildung 1: Capital value decline across regions (per cent)
Note: Benchmarks used: MSCI UK Qtly Index, Q1 2023; MSCI Monthly UK Index, June 2023; MSCI Pan European Qtly Index, Q1 2023.
Source: Aviva Investors. Data as of May 2024.
Der Anpassungsprozess auf der britischen Insel hat sich rasch vollzogen, dort gibt es jetzt erste Anzeichen für eine Stabilisierung. Diesem Trend dürfte in der zweiten Jahreshälfte auch die Entwicklung in Europa folgen. Dieser zeitliche Versatz bei der Markterholung lässt vermuten, dass die Kapitalwerte im Vereinigten Königreich früher wieder ins Plus drehen als in Europa.
Ein ausschlaggebender Faktor bei dieser Marktkorrektur ist die Dynamik am Vermietungsmarkt, insbesondere in Premiumsegmenten wie strategische Logistikstandorte, Grade-A-Bürogebäude in Großstädten und dem breiter gefassten Markt für Wohnimmobilien.1,2 Wer in diesen Segmenten das richtige Händchen hat, kann nicht nur von der Stabilisierung oder der Aufwärtsbewegung bei den Kapitalwerten profitieren, sondern unter Umständen auch von kräftigen Mietzuwächsen.
IE: Die drei Schlagworte in diesem Jahr sind Zyklus, strukturelle Trends und Auflegungsjahr.
Unter zyklischen Gesichtspunkten steht das Vereinigte Königreich an einem entscheidenden Wendepunkt und damit an der Schwelle zu einem neuen und vielversprechenden Immobilienzyklus, der starke Anpassungen erwarten lässt. Dank allmählich sinkender Inflationsraten sehen wir der zweiten Jahreshälfte mit vorsichtigem Optimismus entgegen. Auch wenn nicht mit einer Rückkehr zu den historisch niedrigen Zinsen nach der globalen Finanzkrise zu rechnen ist, dürfte die Zinsschraube doch wieder etwas gelockert werden. Auch der Ausblick für Premium-Objekte im Vereinigten Königreich hellt sich zunehmend auf, insbesondere über einen Zeithorizont von fünf Jahren.
Aus Megatrends resultiert ein makroökonomischer Transformationsprozess, der auch lokale Ausläufer hat
Eine längerfristige strukturelle Perspektive ist von zentraler Bedeutung. Aus Megatrends wie der Energiewende, dem Strukturwandel in der Arbeitswelt, der demografischen Entwicklung und globalen Lieferketten resultiert ein makroökonomischer Transformationsprozess, der auch lokale Ausläufer hat. Langfristig werden wir nur dann erfolgreich sein, wenn es uns jetzt gelingt, die potenziellen Gewinner und Verlierer im Gebäudebestand zu identifizieren und unser Kapital dort zu investieren, wo wir langfristige strukturelle Nachfrage sehen.
Was das Auflegungsjahr anbelangt, so scheint die aktuelle Phase der optimale Zeitpunkt für Investments zu sein. Die ersten Jahre des neuen Zyklus dürften mit einer Stabilisierung der Bewertungen und mehr Klarheit bei Makroausblick ein besonders attraktives Zeitfenster sein. Im vergangenen Jahr konnten wir uns im Zuge der Bewertungsanpassungen Best-in-Class-Objekte mit großen Abschläge sichern. Nachdem wir im Rahmen unserer Strategien insgesamt 1,5 Mrd. GBP in High-Conviction-Sektoren im gesamten Vereinigten Königreich sowie europaweit investiert haben, sind wir für eine Markterholung gut aufgestellt.3
Welche Auswirkungen hatten die hohen Zinsen auf die Immobilienmärkte und welche Wirkung könnten die Zinssenkungserwartungen auf Anlagen haben?
IE: Im Vereinigten Königreich hat der Markt mit Blick auf die bevorstehende Lockerung der Zinszügel eine abwartende Haltung eingenommen. Dies hat zu der Marktschwäche beigetragen. Insbesondere potenzielle Verkäufer waren bislang eher zurückhaltend. Die Geld-Brief-Spannen schrumpfen, und wir gehen von einer veränderten Marktdynamik und einem anderen Anlegerprofil aus, wenn die erwarteten Zinssenkungen kommen.
Ein besonders interessantes Segment sind Wohnimmobilien, insbesondere Einfamilienhäuser. Da sich auf Kredite angewiesene Käufer vom Markt zurückgezogen haben, Hypothekenkredite unerschwinglich geworden sind, steuerliche Änderungen für eine Angebotsverknappung gesorgt haben und Bauträger zunehmend Finanzierungspartner suchten, war das Marktumfeld 2023 günstig. Wir machten uns dieses Marktumfeld zunutze und investierten im Rahmen mehrerer Transaktionen 500 Mio. GBP in 1.300 Häuser. Die Marktdynamik wird sich aller Voraussicht nach ändern, wenn sich durch Fremdfinanzierung wieder ein Leverage-Effekt erzielen lässt. Doch dank unserer kontinuierlichen Kooperation mit programmatischen Partnern und Bauträgern über drei Jahre haben wir eine gute Ausgangsposition, um bei Pipeline-Effekten und höherem Wettbewerbsdruck am Markt handlungsfähig zu bleiben.4
Ein Aufwärtstrend kann nach Zinssenkungen etwas auf sich warten lassen
GFH: In manchen Nischenmärkten auf dem europäischen Kontinent liegen die Renditen schon wieder über den Finanzierungskosten. Bei einem Zinsrückgang würden die Fremdkapitalkosten weiter sinken. Dabei ist jedoch zu beachten, dass liquide Märkte zwar in aller Regel prompt auf Zinssenkungen reagieren, eine entsprechende Reaktion am Immobilienmarkt und anderen privaten Märkten indes etwas dauern kann. Ein Aufwärtstrend kann daher nach Zinssenkungen etwas auf sich warten lassen.
Was die Auswirkungen höherer Zinsen anbelangt, ist Liquidität an den europäischen Märkten knapp, sodass es in letzter Zeit Anzeichen für Finanzierungsschwierigkeiten gab. Hier haben wir in einigen Fällen von erhöhter Verkaufsbereitschaft profitiert. Wenn sich die Liquiditätssituation nicht entspannt, bevor sich die finanzielle Situation bei Marktteilnehmern weiter zuspitzt, könnte es zu einer weiteren Welle von Zwangsverkäufen kommen. Damit könnten sich neue Chancen für kapitalstarke Investoren bieten. Am wahrscheinlichsten ist aus unserer Sicht indes eine schrittweise Absenkung des Zinsniveaus in Europa und parallel dazu eine Erhöhung der Marktliquidität. Obwohl vor diesem Hintergrund ein Volatilitätsrisiko in der Preisentwicklung besteht, gehen wir von weiterhin resilienten und sich allmählich stabilisierenden Märkten aus.
Was Notverkäufe anbelangt, so wurden in London in den letzten Monaten Bürogebäude mit hohen Abschlägen auf das bisherige Bewertungsniveau veräußert. Sind auch an anderen Standorten Notverkäufe zu beobachten?
IE: Am Markt baut sich lokal Druck auf. Bestimmte Sektoren und Objekte haben dabei stärker zu kämpfen. Im Gegensatz zur Weltfinanzkrise steht nicht der gesamte Markt gleichermaßen unter Druck, sondern konzentriert sich die Belastung auf bestimmte Sektoren und ist diese bei erheblichem Investitionsbedarf oder schwacher Nachfrage von Investoren besonders groß. Premium-Bürogebäude in London zeigen sich weiter resilient und bieten mit Aussicht auf eine Erholung bei den Kapitalwerten und starkes Mietwachstum positive Perspektiven. An anderen Büromärkten sieht es jedoch weniger gut aus, beispielsweise in Deutschland.
GFH: Europaweit werden Transaktionen weit unter dem Bewertungsniveau des Jahres 2022 abgeschlossen. Je nach Finanzierungsansatz sind die Schwierigkeiten in den verschiedenen Ländern unterschiedlich groß. Dadurch entstehend Chancen. Zur Zeit der Finanzkrise hätte man während der Turbulenzen nahezu jede Immobilie kaufen und damit rechnen können, dass der Preis in den Folgejahren wieder steigt. Der Markt heute ist anders. Man muss ganz gezielt nach Sektor, Standort und Objektqualität auswählen.5 Auch wenn sich viele Möglichkeiten bieten, kommt es in vielen Fällen auf Selektivität im Anlageprozess und bei der Investmententscheidung an.
Welche Pläne haben Sie für 2024 und wo sehen Sie die größten Chancen?
GFH: Letztes Jahr haben wir wegen nur begrenzter Möglichkeiten in Europa hauptsächlich im Vereinigten Königreiche investiert. Mit dem Anpassungsprozess bei den Preiserwartungen haben wir jedoch auch Europa wieder in den Blick genommen und gehen davon aus, dass Europa aufgrund höherer Marktdynamik im kommenden Jahr zum Vereinigten Königreich aufschließen wird.
Wir werden über unsere operativen Plattformen im Vereinigten Königreich und Spanien weiter in den Wohnimmobiliensektor investieren
2024 liegt unser Fokus auf dem europaweiten und britischen Markt für Logistikimmobilien, da wir in diesem Sektor außergewöhnliches Wertpotenzial für unsere Kunden sehen und dieser zudem von positiven längerfristigen Megatrends wie anhaltend starker Nachfrage im Bereich E-Commerce und steigender Nachfrage nach Onshore-Lagerflächen profitieren dürfte.6 Zusätzlich werden wir über unsere Plattformen im Vereinigten Königreich und Spanien weiter in den Wohnimmobiliensektor investieren, unter anderem in Einfamilienhäuser und Studentenwohnungen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist für uns in diesem Jahr auch die Intensivierung unseres Engagements bei den operativen Gesellschaften, die unsere Wohnimmobilien verwalten. Der operative Aspekt steht in der Immobilienverwaltung heute stärker im Vordergrund. Dem tragen wir durch die Ausweitung unserer Beziehungen zu diesen Unternehmen Rechnung, um sicherzustellen, dass unsere Wohnimmobilien effektiv verwaltet werden.
Wie wird sich mit der neuen Fondsstruktur des Long-Term Asset Funds (LTAF) das Investieren am britischen Immobilienmarkt verändern?
IE: LTAFs sind eine neue Kategorie von Investmentfonds, die darauf ausgerichtet ist, die privaten Märkte für einen breiteren Anlegerkreis zu öffnen. Sie sind das Ergebnis einer breit angelegten Abstimmung mit Branchenvertretern und der Financial Conduct Authority mit dem Ziel einer Stärkung der Kontrollmechanismen und der Liquiditätskontrollen zur Absicherung und Optimierung des Anlageerfolgs.
Es ist davon auszugehen, dass es mit LTAFs zu Verschiebungen am Markt kommen wird. Diese neuen Fonds wurden zur Kanalisierung verschiedener Arten von Kapital mit Blick auf Anleger wie leistungsorientierte Pensionspläne entwickelt. Damit ist für den Immobiliensektor potenziell eine Vergrößerung und Diversifizierung des Anlegerkreises zu erwarten, bieten LTAFs Investoren mit langem Atem doch nun neue Möglichkeiten, sich am Immobilienmarkt zu engagieren. Für leistungsorientierte Pensionsfonds mit Liquiditätsbedarf werden Anlagen am Immobilienmarkt damit sehr interessant. Mit diesem Kapital werden landesweit weitere Investitionen in Immobilien und neue Infrastruktur finanziert, was wiederum einen wachstumsstimulierenden Effekt hat.
Fondsmanager werden das Wachstumspotenzial bei ihren Bestandsstrukturen auf den Prüfstand stellen müssen
Des Weiteren ergibt sich damit für Fondsmanager die Notwendigkeit, das Wachstumspotenzial bei ihren Bestandsstrukturen auf den Prüfstand zu stellen, da ältere, stärkeren Einschränkungen unterliegende Strukturen allmählich von LTAFs abgelöst werden dürften, je stärker deren Vorteile gesehen werden. Mit den Veränderungen in der Fondslandschaft könnten Volatilität auf der Verkaufsseite, hohe Liquiditätsbestände und Notverkäufe, insbesondere bei Retail-Fonds, seltener werden. Bei dem Aviva Investors Real Estate Active LTAF (REALTAF) werden unsere Möglichkeiten zur Umsetzung der auf Research basierenden thematischen Strategie nicht durch eine konstante liquiditätsbedingte Unsicherheit, wie sie bei klassischen offenen Fonds zu beobachten ist, beeinträchtigt.
In der Gesamtschau sind wir der Auffassung, dass LTAFs den britischen Markt für institutionelle Immobilienanlagen grundlegend verändern und zu höheren Investitionen an einem breiteren Spektrum privater Märkte im Vereinigten Königreich beitragen können.
Welche Auswirkungen haben „grüne Prämien“ und breiter gefasste ESG-Faktoren auf Anlagestrategien am Immobilienmarkt?
IE: Das Konzept einer grüne Prämie bei Immobilien ist ganz einfach: Es geht um größeres Wertsteigerungspotenzial durch einen höheren Energieeffizienzstandard im Gebäude. Deren Berechnung ist allerdings nicht ganz so einfach: Dabei müssen vielfältige Anpassungen in Zusammenhang mit Mieten, Renditen und Investitionserwartungen vorgenommen werden. Diese Anpassungen sind wiederum abhängig von Objekttyp, Branche, Mieter und den Entwicklungen an dem jeweiligen Anlagemarkt. Solche Faktoren sind grundsätzlich dynamisch und es gibt erste Hinweise darauf, dass sie durchaus heterogene Auswirkungen haben.
Die Berechnung einer „grünen Prämie“ ist nicht ganz einfach, dabei müssen vielfältige Anpassungen vorgenommen werden
Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung solcher Aspekte an den Immobilienmärkten ergeben sich Möglichkeiten, mit unserem Bewertungs- und Underwriting-Ansatz Wertsteigerungspotenzial zu erschließen. Umgekehrt müssen Risiken in Zusammenhang mit Stranded Assets, insbesondere an Märkten mit schwächerer Nachfrage nach energieeffizienten Best-in-Class-Objekten, sorgfältig geprüft werden. Konkret geht es hier um das Gegenstück zur „grünen Prämie“, das auch als brauner Abschlag auf energetisch ineffiziente Gebäude bezeichnet wird.
Zunehmend riskant sind Immobilien, bei denen Investitionen in eine Verbesserung der Energieeffizienz sich nicht rechnen. Dieses Risiko sollten alle Immobilienanleger genau unter die Lupe nehmen. Aufgrund der Komplexität und hohen Dynamik beim Thema ESG kann es zu Fehlbewertungen kommen. Damit bietet sich die Möglichkeit, Alpha zu generieren. Dies sollte aber auch durch ein entsprechendes Risikomanagement abgedeckt sein.