David Hedalen und Jonathan Bayfield von unserem Real Assets-Researchteam stellen Daten vor, die zeigen, dass die Immobilienmärkte im Vereinigten Königreich und in Europa möglicherweise vor einem bedeutenden Wandel stehen.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit folgenden Themen:
- Daten, die auf einen Wendepunkt im Immobilienzyklus hindeuten
- Die Sektoren, in denen die Preise bereits anziehen
- Warum es wahrscheinlich eine k-förmige Erholung geben wird
Beim Real Assets-Researchteam von Aviva Investors geht es vor allem um Daten. Das Erheben, Vergleichen und Deuten von Daten aus einer riesigen Palette an Datenquellen – von Leerstandsquoten über Risikoaufschläge und Mietrenditen bis hin zu Transaktionsvolumina – kann durchaus herausfordernd sein. Doch erhalten wir dadurch wertvolle Einblicke in die Marktlage und die Richtung, in die sich die Märkte bewegen werden.
Ein klares Muster lässt sich erkennen, wenn wir uns die jüngsten britischen und europäischen Immobiliendaten anschauen. Diese Märkte treten gerade in eine neue Phase ein.
Denken wir mal zurück an den Beginn des geldpolitischen Straffungszyklus vor zwei Jahren. Als die Zentralbanken Mitte 2022 zur Bekämpfung der Inflation die Zinsen anhoben, richteten sie auf den Immobilienmärkten in vielen Regionen verheerende Schäden an. Die Bewertungen gingen in den Sturzflug. Die Kreditvergabe wurde eingeschränkt und die wirtschaftliche Tragfähigkeit von Entwicklungsprojekten in Frage gestellt. Einige Eigenkapitalinvestoren im Immobiliensektor konnten zwar Chancen wahrnehmen, die höheren Kapitalkosten sorgten aber für Zurückhaltung unter vielen Fremdkapitalinvestoren.
Nach unserer Analyse könnten wir möglicherweise schon bald einen Schlussstrich unter diese turbulente Phase ziehen. Die makroökonomischen Aussichten werden nun klarer, wobei vor dem Jahresende mit einer nachlassenden Inflation und Zinssenkungen gerechnet wird. Gleichzeitig setzt allmählich eine Stabilisierung der Immobilienbewertungen ein, und auch Risikobereitschaft und Liquidität kehren langsam wieder auf die Fremdkapitalmärkte zurück. Die Bewertung von Real Estate Investment Trusts (REITs) sendet positive Signale, und wir schätzen die Attraktivität von Immobilien im Vergleich zu anderen Anlageklassen nun wieder höher ein. Wir gehen davon aus, dass diese Signale ein neues Kapitel im Immobilienzyklus einläuten.
Beispiellose Volatilität
Um die Auswirkungen dieser Wende nachzuvollziehen, sollte man einen Schritt zurücktreten und die Folgen des Zinserhöhungszyklus 2022–2024 genauer untersuchen. Für Immobilieninvestoren war das eine wirklich außergewöhnliche Zeit.
De Zahlen sprechen für sich. Im zweiten Halbjahr 2022 gingen die Bewertungen britischer Immobilien laut MSCI UK Monthly Property Index um fast 22 Prozent zurück. In Europa waren die Rückgänge hingegen kleiner, aber dennoch deutlich (siehe Abbildung 1).
Eine anhaltende Werterosion im Jahr 2023 und bis ins Jahr 2024 hinein bedeutete, dass im ersten Quartal 2024 im Vereinigten Königreich die Bewertungen um 25 Prozent vom Höchst- zum Tiefststand gesunken waren (vier Fünftel dieses Rückgangs entfielen allerdings auf die zweite Hälfte des Jahres 2022). Im Oktober 2022 sanken die Werte allein in einem Monat um fast 7 Prozent – so stark wie noch nie zuvor – gefolgt von einem weiteren Rückgang um 6 Prozent im November.
Abbildung 1: Capital value decline (per cent)
Note: Benchmarks used: MSCI UK Qtly Index, Q1 2023; MSCI Monthly UK Index, June 2023; MSCI Pan European Qtly Index, Q1 2023; MSCI UK Qtly Index, MSCI Pan European Qtly Index, Q1 2024.
Source: Aviva Investors. Data as of June 2024.
Abbildung 2 ist ein Vergleich der größten Marktkorrekturen in den letzten vier Jahrzehnten – die Breite der Balken veranschaulicht die Dauer der Korrektur, die Höhe steht für den Kapitalverlust vom Höchst- zum Tiefststand. Die während des Straffungszyklus auftretende Volatilität war in Bezug auf die Geschwindigkeit der Korrektur mit nichts zu vergleichen, was Anleger in nicht börsennotierten Immobilienanlagen in der jüngeren Geschichte erlebt hatten.
Es sollte beachtet werden, dass es sich um eine zyklische, nicht um eine strukturelle Anpassung handelt
Dabei sollte jedoch beachtet werden, dass es sich um eine zyklische, nicht um eine strukturelle Anpassung handelt. Anders als bei vorherigen Abschwüngen gab es keinen Nachfrageeinbruch, die Bilanzen blieben weitgehend solide aufgestellt und – ein wesentlicher Unterschied zur globalen Finanzkrise – die im System vorhandene Verschuldung war beherrschbar.
Auch das Angebot war weiterhin unter Kontrolle; spekulative Entwicklungsprojekte gab es nur wenige. Unterm Strich trägt eine extreme Marktvolatilität, in Verbindung mit steigenden Bau- und Fremdkapitalkosten, nicht gerade zu einer regen Bautätigkeit bei.
Abbildung 2: Four decades of real estate market corrections (peak-to-trough valuation decline, per cent)
Note: The width of the bars illustrates the length of the correction, the height peak-to-trough capital loss.
Source: Aviva Investors, MSCI UK Monthly Property Index Capital Growth Index March 2024, CRE Analyst. Data as of June 14, 2024.
Ein neues Kapitel
Die Reaktion während des Zinserhöhungszyklus war also eine maßvolle – wenn auch äußerst disruptive – Antwort auf den raschen Anstieg des risikofreien Zinssatzes. Trotz des starken Rückgangs der Bewertungen blieben die bereits bestehenden Angebots- und Nachfragedynamiken intakt.
Da schließt sich die Frage an: Wie geht es weiter? Bleiben die Finanzmärkten vor weiteren Schocks verschont, müssten sich die Bewertungen unseres Erachtens in den kommenden Quartalen weiter stabilisieren. Wie in früheren Zyklen ging die Neubewertung im Vereinigten Königreich schneller voran als in Europa. Die Daten zeigen jedoch, dass die Bewertungen auch auf dem europäischen Festland stagnieren. In einigen Sektoren wie Gewerbe- und Wohnimmobilien tendieren die Preise bereits nach oben (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Market pricing flatlining after material market adjustments
Note: European Commercial Property Index (CPPI) - 30 city Aggregate. Rebased Dec 2006 = 100.
Source: Aviva Investors, Green Street CPPI. Data as of March 31, 2024.
Die Dynamik auf den Fremdkapitalmärkten ist ein weiterer Fingerzeig dafür, dass sich die Marktbedingungen im Wandel befinden. Im Segment für Real Estate Debt erfolgen Neubewertungen meist schnell, wenn sich die Zinserwartungen ändern – schneller als bei Real Estate Equity. Vor diesem Hintergrund sind die Finanzierungskosten seit längerer Zeit höher als die Immobilienrenditen. Doch jetzt, da sich die Fremdkapitalkosten inzwischen stabilisiert und die allgemeinen Immobilienrenditen angepasst haben, besteht dieser inverse Zusammenhang nicht mehr. Somit wird die Fremdkapitalfinanzierung im Immobiliensektor wieder interessant, sowohl im Vereinigten Königreich (siehe Abbildung 4) als auch in den Teilsektoren Mietwohnraum und Wohnimmobilien in Europa.
Ein weiteres Signal für diesen Wandel ist die kleiner werdende Lücke zwischen Transaktionspreisen und Bewertungen. Wir beobachten die Transaktionsindizes genau. Während sich diese in der Abschwungphase schnell veränderten und die Transaktionsaktivität im gesamten Markt widerspiegelten, ziehen die Bewertungsindizes nun nach. In Zeiten rascher Neubewertungen hinken die Bewertungen dem Markt oft hinterher, doch wenn sich die Lücke zwischen den Transaktions- und den Bewertungssignalen nun schließt, heißt das, dass sich – ceteris paribus – auch die Geld-Brief-Spanne verringern sollte.1 Aufgrund unserer Präsenz und des Umfangs unserer Aktivitäten im Immobilienbereich (so haben wir seit Beginn des Zinserhöhungszyklus 1,5 Mrd. GBP in High-Conviction-Sektoren im gesamten Vereinigten Königreich sowie europaweit investiert) können wir Echtzeitdaten in diesem Bereich einholen.
Wir haben zudem eine Neubewertung börsennotierter Immobilieninvestments beobachtet, bei der sich die hohen Abschläge aufgelöst haben und nach Angaben von Morgan Stanley Research nun wieder in Einklang mit dem langfristigen durchschnittlichen Abschlag von 16 Prozent zum Nettoinventarwert (NAV) im Vereinigten Königreich stehen (ca. 15 Prozent Ende Mai). Überdies haben sich auch die impliziten Renditen auf börsennotierte Immobilieninvestments stabilisiert, wenngleich der Renditesatz höher ist als noch vor 2022 (was aufgrund des höheren Zinsniveaus auch zu erwarten ist).
Abbildung 4: UK real estate debt becomes accretive (yield, per cent)
Note: Underlying assumptions are BBB/Fixed.
Source: Aviva Investors, Bloomberg, MSCI. Data as of March 31, 2023.
Wählerisch sein
Trotz veränderter Perspektiven sowohl für die britischen als auch für die europäischen Märkte, rechnen wir nicht mit einem unmittelbaren, breit angelegten Aufschwung. So sehen wir vielmehr eine k-förmige Erholung, bei der risikoärmere, qualitativ hochwertige Immobilienwerte gut abschneiden und andere Anlagen aufgrund erheblicher Mieterrisiken oder eines dringenden Bedarfs an Investitionsausgaben vor Herausforderungen stehen.
Wir gehen davon aus, dass die Preise von bestimmten Objekten in Zweitlagen aufgrund des strukturellen Gegenwinds unter Druck bleiben
Wir bevorzugen Anlagen in Sektoren wie städtische Lagerhäuser, Mietwohnraum und Life Sciences, die von langfristigen globalen strukturellen Themen, auch Megatrends genannt, profitieren.2 Anders als in früheren Zyklen erwarten wir, dass die Preise bei bestimmten Objekten in Zweitlagen aufgrund des strukturellen Gegenwinds unter Druck bleiben werden. Somit verschleiern Erträge auf Ebene des allgemeinen Index eine ungleiche Verteilung der Erträge über verschiedene Anlagen hinweg.
Der k-förmige Trend zeigt sich deutlich auf dem Markt für Immobilienkredite, wo die Preise für bevorzugte Sektoren und höherwertige Vermögenswerte angespannt bleiben, während die Kreditkosten für schwächere Objekte weiterhin hoch sind.3 Diese Dynamik wird einen weiteren Keil zwischen hochwertige und minderwertige Objekte treiben und die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern vergrößern.
Strukturell gesehen glauben wir, dass der Büroimmobiliensektor am anfälligsten ist. Wir bevorzugen weiterhin qualitativ hochwertige, erstklassige Büroimmobilien in guten Lagen in Großstädten mit knappem Angebot, beispielsweise Central London, Amsterdam und in den Hauptstädten der nordischen Länder, aber jenseits dieser Objekte schwächelt der Markt; schwächere Büroimmobilien in Zweitlagen werden weiterhin unter Druck stehen.4 Investoren haben bereits die potenziellen Auswirkungen von mobilem Arbeiten und Hybridlösungen sowie die zusätzlichen Investitionsausgaben untersucht, die für eine Anpassung und Neupositionierung von Büroobjekten erforderlich sind, sowohl aus Sicht der Mieter als auch aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten. Diese Überlegungen werden die Bewertungen in diesem Teil des Marktes weiter beeinflussen.
Strukturelle Megatrends beeinflussen sowohl dass makroökonomische Bild als auch die Aussichten für bestimmte Anlageklassen auf lokaler Ebene
Andere strukturelle Megatrends – von der Energiewende über den demografischen Wandel bis hin zu Änderungen der globalen Lieferketten – werden sowohl das makroökonomische Bild als auch die Aussichten für Vermögenswerte auf lokaler Ebene beeinflussen. Investoren müssen diese Trends und die Folgen für Nachfragemuster und langfristigen Wert im Auge behalten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der makroökonomische Nebel nach und nach lichtet. Es werden für die zweite Jahreshälfte Zinssenkungen erwartet und die Bewertungen werden sich stabilisieren. Wir sind daher der Meinung, dass Immobilieninvestoren nun allmählich mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken können. Entscheidende Faktoren für das neue Kapitel sind jedoch nach wie vor eine sorgfältige Anlageauswahl und eine langfristige Perspektive.